Sprunglinks
Tertianum Etzelgut
This-Priis: Der Arbeitgeber-Award: Tertianum Etzelgut
This-Priis: Der Arbeitgeber-Award
Der This-Priis ist der Zürcher Arbeitgeber-Award. Er geht an Unternehmen, die sich für die Integration von Menschen mit gesundheitlichem Handicap engagieren.
Integration als Berufung
Tertianum Etzelgut (Finalistin 2022)
Die Geschichte erfüllt Brigitte Selm noch heute, zwanzig Jahre später, mit Stolz. Ein Jugendlicher hatte Schwierigkeiten in der Schule. Niemand wusste mehr, was machen. Sie war damals in einem Pflegezentrum in Rapperswil tätig und holte ihn für ein Praktikum in ihre Einrichtung, wie die heutige Geschäftsführerin des Tertianum Etzelgut erzählt. Für den jungen Mann war diese Möglichkeit ein Startschuss in ein neues, erfülltes Leben: Er absolvierte eine KV-Lehre und ist heute ein erfolgreicher Sportjournalist.
Unterstützung im Team
Auch für Brigitte Selm war dieser Fall der Aufbruch in eine neue Welt. Sie sei dadurch in ihr Eingliederungs-Engagement «reingerutscht». Danach hat ein Fall den anderen ergeben. Schwierige Jugendliche, Straffällige, Drogenabhängige. Aber auch Migranten, denn auch fehlende Sprachkenntnisse seien ein Handicap, sagt sie, «ich mache da keinen Unterschied». Dutzenden Menschen hat die gelernte Pflegefachfrau auf den Weg geholfen. Zurzeit beschäftigt sie im Tertianum Etzelgut vier Personen mit psychischer oder physischer Einschränkung, drei festangestellt, eine in einem Arbeitsversuch. Die Anfragen kommen von Stiftungen, sozialen Institutionen oder der SVA Zürich.
Alle kann sie nicht annehmen. Denn, sagt sie, ein solches Engagement sei Teamarbeit. «Es braucht Mitarbeitende, die es mittragen. Man muss darauf achten, dass man das Team nicht überlastet. Ich spüre, ob eine Abteilung noch Kapazität hat für jemanden mit einem Handicap.» Selm kümmert sich gut um ihre Angestellten. Verwöhnt sie gerne mal mit Essen, Vitaminen und frischen Fruchtsäften, oder – wenn es die Pandemiesituation zulässt – mit Apéros und Ausflügen. Die Tür ihres Büros gleich neben dem Empfang steht immer offen, für Angestellte wie Bewohnerinnen und Bewohner.
Grenzen austesten
Am einfachsten kann das Alterszentrum auf der Pflegeabteilung eingliedern. Dort sind die Möglichkeiten flexibel bezüglich Arbeitszeiten oder -einsätzen. Eine Frau mit massiven Knieproblemen, die lange Zeit eine IV-Rente bezog, verteilt ihr 60-Prozent-Pensum im Etzelgut so, dass sie jeden Tag, dafür nur einige Stunden arbeitet. Zudem macht sie lange Mittagspausen, in denen sie nach Hause fährt und sich ausruht. «Das funktioniert sehr gut», sagt die Chefin. Die Frau arbeitet nun schon bald zwei Jahre bei ihr. Damit eine Eingliederung gelingt, braucht es laut Selm vor allem eins: den Willen der betroffenen Person. «Jemand muss Lust haben, wieder arbeiten zu gehen, sich an Regeln zu halten, sich in ein Team einzufügen - und seine Grenzen auszutesten.» Während den Arbeitsversuchen sehen beide Seiten, auf was sie sich einlassen, und ob es im Alltag funktioniert.
Es macht glücklich, jemandem dabei zu helfen, wieder einen Selbstwert zu haben.
Ein Mann mit einem Hüftleiden, den die SVA Zürich dem Etzelgut vermittelt hat, war anfangs skeptisch, ob er länger als drei, vier Stunden würde arbeiten können. «Nach drei Wochen», erzählt Selm, «hat er den Laden alleine geschmissen. Er hat dadurch die Bestätigung erhalten, dass es geht.» Mit diesem Selbstvertrauen ging der Mann zurück in den Arbeitsmarkt. Längst nicht alle, die im Etzelgut einen Arbeitsversuch machen, können dort auch bleiben. Meist fehlt es an offenen Stellen. Durch ihr breites Netzwerk findet Brigitte Selm jedoch für fast alle einen Platz in anderen Häusern. Es gibt allerdings auch jene Fälle, die nicht in einer erfolgreichen Eingliederung enden. Da ist zum Beispiel ein junger Mann, ein Autist, der ein halbes Jahr lang am Empfang des Etzelguts gearbeitet hat. Er hat sich entschieden, wieder in eine geschützte Werkstätte zu gehen. «Es war ihm zu viel», erklärt Brigitte Selm. «Mit dem Druck können nicht alle umgehen», fügt sie hinzu. Solche Rückschläge müsse man einfach abhaken, und weitermachen.
Offene Fehlerkultur und Diversität
Seit zehn Jahren ist Brigitte Selm bei der Tertianum-Gruppe tätig. Das Haus Etzelgut eröffnete 2017. Der Neubau wirkt einladend. Auf jeder Etage schwingt sich ein breiter Balkon rund ums Gebäude. Dort spazieren die Bewohner ihre Runden und geniessen dabei den Ausblick auf den Zürichsee. So aufgeschlossen sich die Architektur von aussen präsentiert, ist auch der Geist im Haus. Brigitte Selm pflegt eine offene Fehlerkultur. «Gefährlich sind jene Fehler, die man vertuscht, gerade in der Pflege», sagt sie. Offenheit ist der Geschäftsführerin auch in Bezug auf die Diversität im Unternehmen wichtig. Sie definiert sich und das Haus stark als wertfrei und betont: «Menschen jeglichen Alters, jeglicher Hautfarbe, jeglicher Religion und jeglicher Sexualität sollen bei uns arbeiten. Stigmafrei.»
Selbstwert steigern
Genauso wichtig wie einzugliedern, findet Brigitte Selm es, vorauszuschauen. Sie versucht, präventiv zu verhindern, dass jemand überhaupt erst arbeitsunfähig wird. Ältere Pflegemitarbeitende schult sie frühzeitig um, sodass sie keine körperlich anstrengenden Arbeiten mehr ausführen, sondern sich zum Beispiel vermehrt um die Lernenden und deren Ausbildung kümmern. So kann eine etwaige IV-Rente umgangen werden. «Das ist sowohl für die betroffene Person als auch für uns als Gesellschaft wichtig», sagt sie. Ihr Engagement sieht Selm als sozialen Auftrag, den alle haben. «Man gewinnt viel als Arbeitgeberin», betont sie. «Es macht mich glücklich, dass ich Personen dabei helfen kann, wieder einen Selbstwert zu haben.»
Brigitte Selm träumt davon, ihre Kompetenzen in einem neuen Umfeld einzusetzen. Ihre Vision: Ein Seniorenzentrum in den USA. Doch dieser Traum muss warten, denn Selms Eingliederungs-Engagement in Zürich scheint noch lange nicht abgeschlossen. «Durch die Nominierung für den This-Priis», sagt sie, «habe ich gemerkt, dass Integration eigentlich seit jeher mein Steckenpferd ist.»
Integration konkret beim Tertianum Etzelgut:
Das Tertianum Etzelgut beschäftigt 52 Mitarbeitende. Zurzeit sind drei Personen mit einem Handicap angestellt, eine Person befindet sich in einem Arbeitsversuch. Die Geschäftsführerin Brigitte Selm integriert auch Migranten und Flüchtlinge, indem sie Praktika anbietet. Zudem versucht sie, ältere Mitarbeitende präventiv frühzeitig umzubilden, damit erst gar keine Einschränkungen entstehen können.
Neueinstellungen: 1 | Arbeitsplatzerhalte: 1 |
---|---|
2020: Eine Frau mit schwerwiegenden Knieproblemen arbeitet nach einem Arbeitsversuch zu 60% als Mitarbeiterin Pflegedienst. Ihr Pensum kann sie flexibel verteilen, damit sie genug Pausen hat. | Eine Pflegefachfrau mit Rückenleiden ist nun vermehrt für die Ausbildung der Lernenden verantwortlich, um keine körperlich schwere Arbeit an den Betten mehr machen zu müssen. |