Jugendliche mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) haben es meist schwer bei der Lehrstellensuche. Ihre Introvertiertheit wird oft missverstanden. Dabei gibt es spezifische Angebote für Betroffene. Für eine zielgerichtete Unterstützung muss die gesundheitliche Problematik frühzeitig erkannt und thematisiert werden. Dafür ist eine Diagnose und die Anmeldung bei der SVA Zürich nötig. Die Berufsberaterin zeigt Möglichkeiten auf und begleitet durch die Ausbildung.
Als Kind ist Yannick (17) nicht weniger sozial als andere Kinder und hat ein paar gute Gspänli. Als die Familie umzieht und Yannick die Schule wechseln muss, zieht er sich immer mehr zurück. Mit der Veränderung kommt er nicht gut klar. Die Corona-Pandemie verstärkt seine zunehmende Isolation. Bei der Lehrstellensuche stösst Yannick auf Schwierigkeiten. Zu schüchtern und introvertiert sei er, heisst es nach jedem Bewerbungsgespräch. Seine Mutter Irene Schönhaar ahnt, dass ihr Sohn Asperger haben könnte. Nach der fünften Absage beschliesst sie, zu handeln. Abklärungen beim Psychiater bestätigen: Yannick hat eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS). Dank der Diagnose kann er rechtzeitig eine normale Lehre beginnen – in einem für ihn passenden Rahmen und mit der nötigen Unterstützung. Das Ziel: Nach Lehrabschluss eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt finden.
Yannick Schönhaar, Lernender
«Die Lehrstellensuche war schwierig für mich. Ich habe mich oft beworben. Nach dem Bewerbungsgespräch haben sie immer gesagt, dass ich zu schüchtern sei und nicht aktiv viele Fragen gestellt habe. Ich war jeweils sehr enttäuscht. Jetzt mache ich eine 4-jährige Lehre als Applikations-Entwickler. Ich bin im 2. Lehrjahr. Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich etwas mit Informatik machen will. An meiner Lehrstelle gefällt mir besonders gut, dass ich hier unter Gleichgesinnten bin und ruhig arbeiten kann. Ich gehe in die normale Berufsschule. Dort herrscht ein bisschen ein anderes Klima, aber ich finde es auch ok. Mein Rat an andere Jugendliche: Auch wenn man viele Absagen erhält, muss man versuchen, es in einem positiven Licht zu sehen. Sonst wird man immer wieder enttäuscht, bis am Schluss gar nichts mehr geht.»
Irene Schönhaar, Mutter von Yannick
«Yannick wurde im letzten Schuljahr in der Sekundarstufe von einer Lehrerin missverstanden. Sie hatte falsche Erwartungen an ihn und hat ihm dann einfach schlechte Noten gegeben. Und das im Jahr, wo er eine Lehrstelle finden musste! Dass man als Lehrperson nicht weiterdenkt, was hinter solchen Schwierigkeiten stecken könnte, finde ich unverständlich. Wir sind sehr glücklich, dass Yannick jetzt eine Lehrstelle hat, wo er seine Stärken ausleben und an seinen Schwächen arbeiten kann. Rafisa hat die richtigen Beziehungen, damit Yannick nach der Lehre einen Arbeitsplatz findet, wo er so akzeptiert wird, wie er ist. Wir haben zuhause diskutiert, ob sich Yannick diagnostizieren lassen soll. Es war uns bewusst, dass er damit auch einen Stempel bekommt. Doch als ich gesehen habe, was die vielen Absagen mit ihm machen, war der Weg der Diagnose die bessere Alternative. Für Yannick war die Diagnose eine Erleichterung. Endlich wusste er, was mit ihm los ist. Wir sehen das Positive daran: Menschen mit Asperger sind hyperintelligent. Wie Hans Asperger sagte: ‹Es braucht einen Schuss Autismus, um genial sein zu können.› Es ist schade, wenn man Vorurteile gegenüber der IV hat. Wenn jemand immer wieder negative Erlebnisse hat, so wie Yannick bei seinen Bewerbungen, kommt man in eine Negativ-Spirale. Wer von Anfang an die richtige Begleitung hat, dem bleibt vieles erspart.»
Thomas Schärer, Betriebsleiter Ausbildungsbetrieb Rafisa
«Bei uns machen die Lernenden eine ganz normale Lehre. Daneben werden sie von Sozialpädagoginnen und -pädagogen unterstützt, mit denen sie ihre sozialen Kompetenzen trainieren. Wir sind sehr nah am Arbeitsmarkt. Die Jugendlichen lernen das Daily Business einer IT-Firma kennen. Unser Ziel ist, dass sie nach Abschluss der Ausbildung eine Stelle finden oder selbständig ein Studium absolvieren können. Das gelingt Dreiviertel von ihnen. Schon während der Lehrzeit absolvieren sie Praktika bei anderen Firmen. Wenn es gut läuft, können sie nach der Lehre dort angestellt werden. Für Firmen ist das lukrativ. Sie haben eine kostenlose Probe- und Einarbeitungszeit. Sollte es nicht funktionieren, kann der Lernende in seine Lehre zurückkehren. So profitieren beide Seiten. Die Zusammenarbeit mit der SVA Zürich läuft toll. Das Vertrauen in uns als Ausbildungsplatz ist gross. Dank der Unterstützung der IV können wir zur Zeit rund 80 Jugendliche an 5 Standorten in der Schweiz ausbilden.»
Soraya Bonvin, Berufsberaterin SVA Zürich
«Ohne Diagnose können wir keine Leistungen sprechen. Darum ist es wichtig, dass psychische oder kognitive Probleme von einem Arzt abgeklärt werden. So wird auch der Unterstützungsbedarf klar. Es gibt grundsätzlich zwei Varianten: Eine Ausbildung in einem spezialisierten Ausbildungsbetrieb oder Supported Education, die Begleitung einer Ausbildung in einem gewöhnlichen Unternehmen. In einer Lehre in einem spezialisierten Ausbildungsbetrieb können Jugendliche mit mehr Unterstützungsbedarf gezielt gefördert werden. Die Lernenden erhalten einen Lehrlingslohn in der üblichen Höhe, der dem Betrieb von der IV zurückerstattet wird. Bei Jugendlichen mit ASS empfehlen wir einen Beruf zu wählen, der keinen hohen Sozialkontakt verlangt. Sie brauchen Rückzugsmöglichkeiten, damit sie nicht den ganzen Tag einer Reizüberflutung ausgesetzt sind. Asperger-Autismus und Informatik ist sicher eine passende Kombination, aber nicht alle Betroffenen können oder wollen diesen Beruf ergreifen. Das Schönste an meiner Arbeit ist, wenn ich sehe, dass ein Jugendlicher wie Yannick am richtigen Ort angekommen ist und sein Potenzial entfalten kann.»